Theo Parrish
- "People are only human and sometimes they let us down, but a good track never lets you down". Rick Wades rührende Worte zeugen von Respekt, Ehrfurcht und nicht zuletzt von guten Absichten. Auch sein Kumpel Theo Parrish beschwört gestenreich und mit unerwarteter Eloquenz die unermeßliche Kraft und heilsame Wirkung von Musik. Wie klischeehaft die Ausführungen der beiden auch wirken mögen - man möchte ihnen tatsächlich jedes Wort abnehmen. Es geht hier um Musik. "Das einzige, was du heute brauchst ist ein wenig Geld. Du kaufst ein Computerprogramm und schon bist du ein instant producer. Du brauchst nicht mal Talent und bekommst dafür Aufmerksamkeit, Geld und alle Pussies, die du haben willst. Wenn es das ist, was du willst - OK. Aber warum kannst du es nicht auf anderem Wege versuchen? Es gibt zuwenig Leute da draußen, die ihr letztes Hemd dafür geben würden, Musik zu machen, weil es ihnen wirklich etwas bedeutet." In und um Chicago aufgewachsen, sind beide Teil einer sich in den vergangenen Jahren neu formierenden Detroiter Houseszene, in der neben Kenny Dixon Jr. höchstselbst auch Leute wie Record Time-Veteran Mike Huckaby oder Dan "DBX" Bell (auf dessen Label Elevate beide veröffentlicht haben) mit seinem inzwischen verblichenen 7th City- Vertrieb Schlüsselrollen zufallen. Der über allem schwebende Moodymann-Sound hat Spuren hinterlassen. Die subtil hypnotischen Keyboardschleifen sind von ähnlicher Natur, ebenso die Dissonanzen und stolpernden Beats. Dennoch haben sich Parrish und Wade mit ihren Labels Sound Signature und Harmonie Park gegenüber diesem längst emanzipiert, eigene Entwürfe und Rezepturen kreiert. Trotz ihrer zuweilen einsetzenden Preacherman-Attitüden lassen sie diese weitaus weniger in ihren Output miteinfließen wie etwa eben jener Kenny Dixon Jr., der in beinahe jedem Track "seine" Botschaft transportiert. Die Losung bei Parrish/Wade: Außengeräusche ja, Politik oder Predigt nein. Sie sind ohnehin in jeder Beziehung zutraulicher und auch nicht immer schlecht auf den weißen Mann zu sprechen. Dementprechend weniger Beachtung wird denn auch den Leistungen eines Theo Parrish geschenkt, obwohl die "Tatorte" nahezu identisch sind: Neben den Plattformen aus dem eigenen Revier - Parrish war u.a. an KDJ-Katalognummer 5 beteiligt - gieren da wie bei Moodymann vor allem britische Firmen wie Music Is..., Filth und das in dieser Beziehung besonders aufmerksame Peacefrog-Label nach immer neuen Erzeugnissen aus "deepest Detroit". Vielgescholten für die heterogene Veröffentlichungspolitik sind es denn auch Letztere, die sich mit Parrishs "First Floor" gerade um ein weiteres brillantes Debüt- Album verdient gemacht haben. Wade kann übrigens nicht nur auf eine bewegte Vergangenheit als Electro Bass- Produzent verweisen (einige werden sich mit Freude an den Namen Big Daddy Rick erinnern), sondern zeichnete 1990 auch für ein Platte auf dem Chicagoer Traditionslabel DJ International verantwortlich ("The Way You Move" von TBC) - natürlich ohne jemals einen Pfifferling, geschweige denn Credit dafür bekommen zu haben. So schlug er sich vornehmlich als DJ auf sogenannten basement- und cabaret parties durch, bevor für ihn mittels eigener Mixshow namens "Journey To The Land Of House" ein Kindheitstraum wahr wurde. Schließlich bezeichnet er die lokale Radiolandschaft als seinen größten Einfluß. Was sich nun weniger an Electrifyin Mojo festmachen ließe, sondern an einer Station "bei der das Zeug lief, was auch die ganzen hustlers und players mochten: Isaac Hayes, Curtis Mayfield, Marvin Gaye oder auch Gil Scott Heron. Es war der deepe, melodische Aspekt dieser Musik, auf den ich ansprang. Die Sachen, die ich heute mache, reflektieren Elemente dieser disco und hustler jams." Theo Parrish begründet den eigenen Ansatz mit seinem "Understatement". Dieses materialisiert sich in nur vier Maschinen, die notwendig sind, um dem Ziel so low key und roh wie nur eben möglich zu klingen, nahezukommen. Ein Live-Feeling mache seine Tracks aus, alles laufe durch, nichts sei programmiert. Manchmal brauche es eben zwölf Versuche, manchmal nur einen, bis es "richtig" klingt. "Wir haben es mit Repetition zu tun, mit Soundelementen, die kaum für sich alleine stehen können. Also mußt du sie in die richtigen Bahnen lenken. Auf Lautstärkeverhältnisse, auf den Mix kommt es an. Geht es um den Sensationsgehalt einzelner Sounds oder um die Textur? Viele Leute kümmern sich zu wenig um Texturen, filtern dies oder das. Die Frage ist nicht: was verlangst du von diesem Sound, wie er klingen soll? Sondern: was verlangt der Sound von dir? Erfordert er Höhen oder zusätzliche Mitten?" Vieles scheint einzuleuchten, wenn Theo Parrish mit äußerster Hingabe über "system presence" doziert. Unverzichtbar ist für ihn die Existenz von Zwischenräumen, die er bei Tracks mit handelsüblichen Housetempo vermißt, da bestimmte Frequenzbereiche komprimiert werden. Ein Grund, warum er die Mehrzahl seiner Stücke bewußt herunterpitcht - was sich mit Hilfe seiner superben Three Chairs-Serie, die er auf seinem Label Sound Signature gemeinsam mit Kenny Dixon Jr. und dem befreundeten Rick Wilhite betreibt, auch bestens nachvollziehen läßt. Laut Parrish ist es ohnehin an der Zeit, etwas neues auszuprobieren. Die passende Gebrauchsanweisung liefert er gleich mit: "Wir wissen ja jetzt, wie das alte Loop- und Samplespiel funktioniert. Eine 909 über eine Hook zu legen undsoweiter. Warum reißen wir die Hook nicht einfach auseinander, verschmelzen sie mit einen völlig anderen Teil des Tracks und mischen ihn drunter. Turn it upside down. Turn it inside out."
From GROOVE Magazine, No. 54
- Eigenartigerweise ist die Musik von Theo Parrish dazu geeignet, die unterschiedlichsten Menschen an einen Tisch zu bringen. Ehemalige Indie-Rock-Fans sollen mit seinen Platten ganze Radiosendungen bestreiten, und selbst der ein oder andere, ähm, Techno Fan findet Gefallen an seinen Erzeugnissen – zumindest, wenn diese mit dreifacher Geschwindigkeit abgespielt werden. Dabei gehört der Mann, ebenso wie Kenny Dixon Jr., zu den Vorzeigeproduzenten moderaterer 4/4-Takte aus Detroit. Zum ersten Mal mit einem Remix für Dewayne Davis "It Shows" auf Norma Jean Bells Pandamonium-Label in Erscheinung getreten, konnte Parrish spätestens mit dem Auftauchen seiner Plattform Sound Signature für Furore sorgen und die Behauptung entkräften, sein Name sei nur ein weiteres Pseudonym für den Moodymann. Noch dazu ist Parrishs Style von Anfang an distinktiv genug. Zahlreiche Maxis und drei Alben später ist sein Sound Design derart souverän, daß jedes seiner Stücke eine unverwechselbare Handschrift trägt und er wohl als einer der letzten, verzeiht den Ausdruck, legitimen Restauratoren der Housemusik genannt werden kann. „Es gab einen Zeit, wo ich sehr bewußt bestimmte Dinge an bestimmte Stellen gesetzt habe. Die Hi-Hats, den Bass ... aber nach einer Weile fängst Du einfach an, darüber hinaus zu schauen. Du fängst an dich tiefer in die Materie einzuarbeiten und lernst dabei, wie Musik dich persönlich beeinflußt. Es geht also nicht nur darum, was Du mit der Musik machst, sondern auch darum, was die Musik mit dir anstellt. Nur so entfernst du dich von Strukturen.
Klar, der Mensch reagiert auf bestimmte Strukturen, auf einen bestimmten Basslauf oder eine bestimmte Akkordfolge. Aber es passiert noch soviel darüber hinaus - ganz unterschiedliche Dinge, je nachdem, was für Musik du spielst und an welchem Ort du sie spielst (...)
Es gibt keine Formel. Es gibt einfach keine. Es sieht auf den ersten Blick vielleicht so aus ... aber es gibt keine. Punkt, aus. Musik kommt aus einem Gefühl heraus. Sie ist eine Reaktion auf deine Gefühle und es gibt keine Formel im Bezug auf Gefühle, die immer gültig wäre. Geh in dich. Und wenn Du in dich gegangen bist, erforsche deine Gedanken und Gefühle und denke darüber nach, wie diese Gedanke und Gefühle auf jemanden wirken, der dich nicht kennt, der deine Gefühle und deine Motivation, etwas zu tun, nicht kennt."
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